Sonntag, 31. Januar 2021

Natur, was ist das? Teil I

 









Angesichts der ökologischen Krise, in der wir stecken, sollten wir uns mit der grundlegenden Frage auseinandersetzen, was wir Menschen unter Natur verstehen. Zurück zur Natur, ist das die Lösung? Und was wäre das dann für ein Zustand? Hier der Beginn einer kleinen Serie zu einem komplexen Thema.

Unser westlicher Naturbegriff wurde durch den griechischen Philosophen Platon im 4.Jh. v. Chr. geprägt. Er definierte als Natur einfach alles, was schon da ist und bezeichnete dies mit dem Begriff „Physis". Dies beinhaltete sowohl die äußere, materielle Natur wie auch das, was einem Wesen im Inneren zu eigen ist, also die Seele und die Verbindung zum Kosmos oder dem Göttlichen. Platons Schüler Aristoteles führte dann den Begriff „Techné" für alles willkürlich Geschaffene ein - damit war die Grundlage gelegt für die spätere Naturphilosophie, die Kultur als wesentliches Merkmal von Zivilisation definierte, was auch die zweckhafte Umgestaltung von „Natur“ beinhaltete. 

Zweck war grundsätzlich, sich das Leben zu vereinfachen, Zeit und Kraft zu sparen. Dafür wurden alle Kulturtechniken (übrigens im gesamten Tierreich) entwickelt. Die „Kultivierung“ der Natur durch den Menschen, also die Veränderung dessen, was man vorfand, mit den zur Verfügung stehenden technischen Mitteln, die immer weiter verfeinert wurden, führte zu kriminellem Raubbau und schließlich zu dem beginnenden Zusammenbruch kompletter Ökosysteme, den wir heute sehen. 

Bereits in der Steinzeit hat der Mensch „overkill“-Strategien angewandt, in deren Folge (zusammen mit ungünstigen klimatischen Faktoren) weltweit vor etwa 15.000 Jahren die gesamte eiszeitliche Megafauna ausgerottet wurde. Es wurde stets mehr, und dann noch mehr entnommen, als man für das eigene Überleben brauchte. Dies führte zu immer größeren Veränderungen der natürlichen Systeme, degenerierte, meist kraftlose „Kulturlandschaften“ entstanden, und die wilden „Naturlandschaften“ mußten dank der Verbesserung der technischen Mittel zunehmend weichen. Es folgte eine innere Entfremdung von Natur - das Wissen über die ursprünglichen Gegebenheiten verschwand, und viele Menschen empfinden Raps- und Maisfelder und monotone Forste tatsächlich als schön, als Natur. Sie haben also im platonischen Sinne das, was an Umwelt gegeben ist, bereits als ihre Natur verinnerlicht. 

Die Verluste an Biodiversität in unseren Tagen der "Hochtechnologie“ sind so groß, daß die Journalistin Elizabeth Kolbert dieses Massensterben (bzw. den Massenmord) in ihrem preisgekrönten Buch 2014 als sechste Welle bezeichnet - der Mensch hat die Kraft einer Naturgewalt angenommen, wir gestalten das Zeitalter des Anthropozän. 

Wir müssen erkennen, daß der Mensch schon lange Krieg gegen die Natur führt - unsere vermeintliche „Hochkultur" hat es leider nie geschafft, dieses Verhalten als ungünstig zu erkennen und entsprechende Moralvorstellungen zu entwickeln. Dieses Verhaltensmuster ist inzwischen so tief im menschlichen Wesen verankert, daß wir zwar erkennen, das wir inzwischen dem eigenen Untergang entgegengehen, aber nichts dagegen tun. Wir schauen weg, bis es wie in Lars von Triers Film "Melancholia" zur Katastrophe kommt. 

Erinnern wir uns, warum der Mensch aus dem Paradies vertrieben wurde: er wollte immer mehr, als ihm geschenkt wurde. Aus spiritueller Sicht, und das ist auch die biblische Botschaft, ist es unsere genuine Aufgabe als Menschen, diesen Tiefpunkt zu überwinden. Wir können uns entscheiden, ob wir weiter Krieg führen oder endlich friedlich werden wollen. 

Der Verhaltensforscher Konrad Lorenz bemerkte 1973, daß "die zunehmende Domestikation des Menschen seine Menschlichkeit bedroht“. Es gilt, unsere ursprüngliche Natur, unsere wilde, undomestizierte Paradiesnatur zurückzuerobern. Es gilt, die Entfremdung sowohl von der äußeren wie auch unserer inneren Natur aufzuheben. Es gilt, unseren mitfühlenden menschlichen Kern, unsere Humanitas, zu erwecken und zu leben.

Wenn uns das nicht gelingt, ist alle Politik hilflos und sinnlos. Nachhaltige Entwicklung steht protzig auf den Agendas, dorthin fließen die Millionen - und das soll also unsere Vision für die Zukunft sein, immer weiter ausbeuten, anderen Lebewesen nur dann ein Daseinsrecht zugestehen, wenn es uns auch nützt? Dieses Konzept ist doch nur ein fauler Kompromiß mit den ewigen Bremsern, den Vorgestrigen, schon lange völlig überholt. 

Die Entwicklung von Mitgefühl und die Anwendung in allen Ebenen unseres Lebens sollte stattdessen der Kern unserer gesellschaftlichen Debatten und unseres Handelns sein!

Wir haben bereits alle technischen Mittel, damit eine Transformation gelingen kann. Die Konzepte liegen anwendungsbereit in den Schubladen. So lange Politik nicht in der Lage ist, adäquat zu handeln, so ist es zu allererst doch an jedem Einzelnen von uns, bewußte Entscheidungen zu treffen. Wie also führen wir unser Leben? Wie ernähren wir uns? Womit beschäftigen wir uns, wie nähren wir unsere Seele? Wem geben wir unsere Arbeitskraft? Wieviel Geld brauchen wir zum Glücklichsein? Usw. .. Schon viele Menschen haben sich aufgemacht, aber immer noch viel zu wenige! Machen wir uns gegenseitig Mut, radikal Mensch zu sein. Machen wir uns gegenseitig Mut, einfach glücklich zu sein.


weiterführende Literatur: 

Elizabeth Kolbert: Das sechste Sterben: Wie der Mensch Naturgeschichte schreibt (2015) 

E.O. Wilson: Die Hälfte der Erde: Ein Planet kämpft um sein Leben (2016)

Melancholia. Film von Lars von Trier (2011)







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