Sonntag, 31. Januar 2021

Woher kommen die Träume?

 




„Wer die Quelle kennt, trinkt nicht aus dem Krug.“ Willigis Jäger OSB (1925 - 2020)

In meinem Blog finden sich viele posts zum Thema „Natur“. Der Grund dafür ist, daß Natur und Traum eng miteinander verbunden sind, da ihr Ursprung derselbe ist.

Träumen ist hip, Träumen ist lifestyle. Alle träumen wir gern, treten aus unserer Realität heraus, finden die Geschenke unserer Träume interessant. Aber wohin genau gehen wir, wenn wir träumen? Woher kommen die Träume? Das ist keine triviale Frage. 

Wir suchen Kontakt mit der "Natur", wenn wir Kraft schöpfen, uns erholen wollen. Wir fahren hinaus aus der Stadt, vielleicht in eine Gegend mit weitem Blick, um den Kopf frei zu bekommen, lassen uns am Meer den Wind um die Ohren sausen oder laufen barfuß am Strand. 

Im Traum passiert es ganz automatisch, daß wir Kontakt mit dieser Quelle der Kraft bekommmen. Wir bewegen uns hier in unserer inneren Natur, die allerdings von der äußeren gar nicht zu trennen ist. Es ist nur unsere Wahrnehmung, die sich verändert hat. Neben dem Ozean, an dessen Stränden wir spazieren gehen, haben wir auch Zugang zu einem inneren Ozean. Wenn wir aktiv träumen, haben wir noch dazu eine Absicht, mit der wir bestimmte Orte in dieser inneren Natur aufsuchen, wir wollen etwas wissen, Heilung erfahren oder jemanden treffen. Was also ist diese „Natur“, dieser "innere Ozean"?

Das Träumen ist ein Bewußtseinszustand, in dem wir unsere gewohnte, an den Körper und die Sinnesorgane gebundene Realität verlassen und uns in einen weiten, sogar unendlich weiten Raum begeben. Er ist mit materiell-mechanistischen Kategorien nicht zu fassen, da er eben über die individuelle, die körperliche Ebene hinausreicht. Naturwissenschaft zerlegt ihr Sujet in immer kleinere Teile, die man dann messend erfassen kann - das Ganze kommt bei zunehmender Komplexität aus dem Blick. Daher kann Naturwissenschaft auch gar nicht den Anspruch haben, "die Natur" oder "die Wirklichkeit" als Ganzes zu beschreiben. Im 20. Jahrhundert entwickelte sich mit der Anwendung von Einsteins Relativitätstheorie auch die theoretische Physik („Weltmodell“) weiter, es entstand die Quantentheorie, nach der, basierend auf dem Teilchen-Welle-Dualismus, Materie weder subjektiv noch objektiv verortbar ist - allenfalls beschreibbar als ein „Feld“ von Interkonnektivität. In dem berühmten Briefwechsel zwischen dem Psychiater C.G. Jung und dem Physiker Wolfgang Pauli (1932-1958) geht es in einem weiteren Versuch, naturwissenschaftliche Kategorien auf psychodynamische Phänomene, wie das Träumen oder das Auftreten von Synchronizität, anzuwenden, darum, für die Beschreibung von äußerer und innerer Welt zunächst eine gemeinsame Sprache zu finden. Jung wollte v.a. die Existenz, Bedeutung und Dynamik der von ihm als archetypisch bezeichneten Dimension der Psyche nachweisen und verstehen. Die beiden konstatierten schließlich, daß wir eine solche Sprache bisher nicht haben - der Weg nach innen führt nur über das Erleben, über die inneren Bilder.

Das ist bis heute so geblieben, der weiterhin mechanistische Ansatz der Neurowissenschaften ist daher in dieser Hinsicht nicht hilfreich. Der Physiker H.-P. Dürr (1929-2014) beschrieb das generelle Phänomen, daß nicht nur psychische Phänomene, sondern Materie insgesamt eben nicht faßbar sind: "Wir erleben mehr als wir begreifen."(Für die Vermittlung seiner wissenschaftlichen Erkenntnisse und die Anwendung auf grundlegende gesellschaftliche Fragen wie Umweltschutz und Frieden erhielt er neben vielen anderen Auszeichnungen 1987 den alternativen Nobelpreis.) 

Im tibetischen Buddhismus gibt es schon viel länger eine ähnliche Vorstellung, die in den Lehren der höchsten Vollendung, des Dzogchen, niedergelegt ist. Die (nicht in Kategorien beschreibbare) „Natur des Geistes“ wird verstanden als die Gesamtheit aller Phänomene (die Fülle), und zugleich als das Potential, das diese Fülle zu erzeugen vermag (die Leere).

Sowohl Quantentheorie als auch Dzogchen sind schwer zu erschließen. Die Dzogchen-Lehren wurden immerhin nicht nur als reines Theoriegebäude verfaßt, sondern beinhalten ein umfassendes Geistestraining, das geschulte Meister vermitteln.

Neben der Meditation ist das Träumen eine der empfohlenen Methoden, um in die "Natur des Geistes", die Quelle, die Essenz allen Seins, einzutreten. Dieser Zustand ist bereits aus sich selbst heraus vollkommen, wir brauchen nichts weiter zu tun als loszulassen .. Träume sind die Erfahrung dieser Quelle, dieser Essenz des Bewußtseins - der inneren Natur.


weiterführende Literatur:
Michael Hampe: Die Wildnis, die Seele, das Nichts. Über das wirkliche Leben (2020)
Keith Dowman: Dzogchen: A Matter of Mind (2020) (english)
Chögyal Namkhai Norbu: Dzogchen – der ursprüngliche Zustand (2017)
H.-P. Dürr: Wir erleben mehr als wir begreifen: Quantenphysik und Lebensfragen (2007)
Robert Moss: Conscious Dreaming (1997) (english)





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