Montag, 18. Januar 2021

The World Wide Web

 












Wir alle schätzen und genießen die Möglichkeit, uns über alle Entfernungen hinweg mit anderen Menschen verbinden zu können. Zugleich haben wir einen noch vor 20 Jahren undenkbaren Zugang zum enzyklopädischen All-Wissen der Menschheit. Das Internet ist ein Mittel, unsere körperliche und geistige Begrenztheit zu überwinden. Damit haben wir interessanterweise etwas materialisiert, das als spirituelles Modell in den Bewußtseinslehren schon lange bekannt ist. 

Im Buddhismus kennt man das "Netz der Indra", ein Bild für die abhängige Verbundenheit aller Phänomene: Indra, die große Schöpferin, hängte zum Schmuck ihres Himmelspalasts auf dem Weltenberg Meru ein Netz unendlicher Größe auf. An dessen Knoten brachte sie Juwelen an, die wie Sterne die jeweils anderen reflektieren. Da sich eins im anderen widerspiegelt, ist die Reflexion unendlich. Im berühmten Sutra der Blumengirlande (Avataṃsaka Sūtra) heißt es dazu: 

"The Buddhas know that all phenomena come from interdependent origination. They know that all the different phenomena in all worlds are interrelated in Indra's net."

Aus der nordischen Mythologie Europas ist das "Netz von Urd" bekannt: 

Am Fuß des Weltenbaums Yggdrasil leben drei Frauen, die Nornen. Eine davon heißt Urd. Sie bestimmen den Lauf der Welt, indem sie ein Netz aus Runen weben. Dieses Netz repräsentiert die schicksalhafte Verbundenheit aller Phänomene in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft - der Antrieb, die Kraft unseres Inneren. 

Alles ist mit allem verbunden. Wir Menschen auch. Jeder von uns ist eins dieser Juwelen, in dem sich das Potential alles Anderen spiegelt. Wie beim Internet ist ein möglicher Gegenstand dieser umfassenden Vernetzung die Kommunikation miteinander, die zunächst eine gegenseitige Wahrnehmung voraussetzt. 

Marcel Proust schreibt in seinem 1923 erschienen Roman "Die Gefangene. Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“: „Die wahre Entdeckungsreise besteht nicht darin, neue Länder zu besuchen. Sie besteht darin, neue Augen zu haben.“

Wir sind Gefangene unseres modernen, naturfernen Lebens. Wir möchten uns so gern verbunden fühlen, mit uns selbst und mit der uns umgebenden Welt. Durch unsere Konditionierung haben wir damit allerdings Probleme, wir scheitern an unserer Voreingenommenheit. 

Wer sich darauf einlassen will, mit "neuen Augen“ auf die Vernetzung unserer Welt zu blicken und wer gerne liest, dem wird vielleicht ein großartiges populärwissenschaftliches Buch eines 28-jährigen britischen Pilzkundlers Freude machen, das letzten Herbst erschienen ist. Es wird gerade auch in Deutschland zu Recht ein Bestseller: 

Merlin Sheldrake: Verwobenes Leben: Wie Pilze unsere Welt formen und unsere Zukunft beeinflussen (Ullstein Verlag, 2020)

Rezensionen kolportieren „eine völlig neue Sicht auf das Leben auf unserem Planeten“.  Dies ist es sicher nicht, aber dem Autor ist es auf beispielhafte Weise gelungen, die Welt der Pilze mit der Begeisterung eines Wissenschaftlers für Laien zu beschreiben und gleichzeitig darauf hinzuweisen, was wir vielleicht von der fremden Welt in den Böden lernen könnten. Sheldrake respektiert sie als das, was sie sind - Wunder des Lebens. Er macht deutlich, wie sehr auch unser Leben von diesen Gemeinschaften abhängt, erklärt die Folgen des Raubbaus an den Böden und zeigt Lösungsmöglichkeiten auf.

Der junge Autor ist der Sohn eines beeindruckenden Paars: Sein Vater ist der Biologe Rupert Sheldrake, der 1981 durch seine inzwischen möglicherweise quantentheoretisch beweisbare These von den morphogenetischen Feldern - Ursachen von Form - bekannt wurde. Inzwischen ist er ein vielfach preisgekrönter Wissenschaftskritiker, der rastlos auf die Notwendigkeit der Überwindung des Schismas von Naturwissenschaft und Spiritualität hinweist. Seine Mutter ist die Familientherapeutin Jill Purce, die sich mit der spirituellen Dimension von Musik auseinandersetzte und bahnbrechende Methoden zur Heilung mit Klang und Tönen entwickelte.

Hier ist Merlin Sheldrake mit einem musikalischen Experiment zu seinem Werk über die Welt der Pilze zu hören, das er seinen Versuchsobjekten offensichtlich mit großer Freude zum Verspeisen anbietet:



1 Kommentar:

Anonym hat gesagt…

Ich habe das Buch gelesen. Es ist super!